Geschlechter­gerechte Sprache?

Ja. Aber richtig!

TL;DR:
Alle derzeit verbreiteten Formen von „Gendersprache“ sind fehlkonstruiert und kontraproduktiv.
Richtig gendern geht anders. Gerechter und viel einfacher. Movier gleich!

Die Mission

Ethisch fortschrittsorientiert wollen wir den humanistischen Wert sozialer Gleichheit in geschlechtlicher Dimension sprachlich korrekt ausdrücken.

Im Sinne eines antidiskriminierend ausgerichteten Gerechtigkeitsbegriffs bedeutet das:

Geschlechtergerecht = alle Geschlechter werden gleich behandelt

Wie ist das umzusetzen?

Die Sachlage

Bei Substantiven der deutschen Sprache
wird Geschlecht nicht per Genus ausgedrückt.

Bekanntes Beispiel dafür:

die Gabel der Löffel das Messer

Besteck hat überhaupt kein Geschlecht. Es ist nicht einmal belebt. Trotzdem heißt es nicht *das Gabel oder *das Löffel.

Ein anderes Beispiel:

die Firma der Betrieb das Unternehmen

Alle drei Wörter bezeichnen denselben Gegenstand.

Denselben Gegenstand,dieselbe Sache, dasselbe Ding.

Auch bei Substantiven für Personen hat das Genus nichts mit dem Geschlecht des Bezeichneten zu tun:

die Person der Mensch das Individuum
die Sportskanone der Tennisstar das Nachwuchstalent

Alle drei Wörter können jeweils denselben Menschen bezeichnen, egal ob weiblich, männlich oder divers.

Das Genus eines deutschen Substantivs
ist eine Eigenschaft des Wortes,
nicht des damit Bezeichneten.

Der sprachliche Nutzen des Genus besteht in der Kennzeichnung von Kongruenzbeziehungen in Satzgefügen.

Die Annahme, ein Maskulinum-Substantiv sei formal eine Bezeichnung speziell für Männer, beruht auf einem Irrtum.[1] Genausowenig ist ein Femininum eine Bezeichnung speziell für Frauen: die Lehrkraft kann auch ein männlicher Lehrer sein.

Zur Zuspitzung der Wortbedeutung auf ein bestimmtes Geschlecht, und zwar einzig dazu, dient im Deutschen ein anderes Sprachelement:

Der Sexus des Bezeichneten
kann bei deutschen Substantiven
durch Movierung ausgedrückt werden.

Movierung ist die Ableitung von einem Grundwort durch Anhängen eines Suffix, um geschlechtsspezifisch zu adressieren. Ein Movierungssuffix wird fachsprachlich auch als Movem bezeichnet. Das allseits bekannte weibliche Movem ist -in. Eine Besucherin beispielsweise ist ein weiblicher Besucher. Ein Besucherparkplatz steht für Besucher egal welchen Geschlechts offen. Das Wort Besucher ist formal geschlechtlich unbestimmt[2] und wird als „generisches Maskulinum“ auch praktisch so benutzt.[3]

Kommen wir auf die Eingangsprämisse zurück:

Geschlechtergerecht = alle Geschlechter werden gleich behandelt

Alle Geschlechter werden sprachlich gleich behandelt, wenn für alle Geschlechter gleichermaßen moviert wird.

Richtig gendern

Das geht mit dem Prinzip der gleichgestellten Movierung.

Damit lassen sich nicht nur Frauen per Suffix spezifisch adressieren, sondern auch Männer und geschlechtlich Diverse.

Gleichgestelle Movierung Symbol -in
-in
Gleichgestelle Movierung Palette Symbol -an
-an
Gleichgestelle Movierung Symbol -on
-on
Gleichgestelle Movierung Symbol unmoviert
-
SingularPlural
wdie Journalistin die Journalistinnen
mder Journalistandie Journalistannen
ddas Journalistondie Journalistonnen
unbestimmtder Journalistdie Journalisten

Der Journalist ist geschlechtlich genauso unbestimmt wie die Fachkraft. Wenn es für spezifisch männliche Adressierung das Suffix -an gibt, ist das unmovierte Grundwort eindeutig geschlechtlich unspezifisch.[4]

Gleichgestellte Movierung ist Gendern 2.0 - für alle, die wirklich progressiv gerecht schreiben und sprechen wollen.

Super Sache, denn

es ist einfach

Das Prinzip ist in Sekunden erlernt. Vorbild ist die allen vertraute weibliche Movierung, für andere Geschlechter ändert sich nur der Vokal des Movems. Es entstehen weder grammatische Komplikationen noch sinnwidrig verkehrte Sprachfiguren.

es ist präzise

Generisches Maskulinum ist dadurch von diffuser Adressierung befreit. Nun gibt es ein schlüssiges Schema: Unmoviert ist immer geschlechtsneutral, denn nur moviert ist geschlechtsspezifisch. Auch Nonbinarität ist dank eigenem Movem gezielt eindeutig adressierbar.

es ist barrierefrei

Mit Einfacher Sprache problemlos zu vereinen. Keine Sonderzeichenproblematik im Zusammenhang mit elektronischen Medien und Verarbeitungsprozessen wie etwa Vorleseautomatiken für Sehbehinderte.

es harmoniert mit deutscher Sprachsystematik

Kein verbiegender Eingriff, sondern symmetrische Ergänzung.
Konform mit geltenden Rechtschreibregeln. Basiert nicht auf fehlinterpretierter Rolle des Genus. Movierung ist für spezifisch weibliche Adressierung bereits seit Jahrhunderten üblich.

es ist abwärtskompatibel

Generisches Maskulinum kann weiterhin wie bisher benutzt werden, es stimmt immer für alle. Ältere Texte (Verträge, Gesetze, Anleitungen usw.) bedürfen keiner Anpassung.

es ist nachhaltig

Konservativ und progressiv zugleich: das Alte bewahren und durch Neues aufwerten.

es kommt ohne ständige Sexualisierung aus

Movierte Formen kommen nur zum Einsatz, wenn in der Aussageabsicht Sexus bzw. Gender relevant ist. Die allgemeine, unspezifische Grundform ist unmoviert, enthält also keinen Sexusmarker (anders als Formate mit Genderstern, Genderdoppelpunkt und dergleichen). Das drückt antidiskriminative Grundhaltung aus.

es bietet vollwertige Integration nonbinärer Identität

Nonbinäre lassen sich mit der betreffenden Movierung gezielt genauso adressieren wie Leute mit binären Geschlechtsidentitäten.

es ist grundlegend geschlechtergerecht

Abwendung von Androzentrismus: nicht mehr nur die Frau ist „das andere Geschlecht“, die Abweichung von einer männlich identifizierten Norm, sondern jedes Geschlecht ist gleichermaßen besonders. Keines ist normaler als das andere.

Nachteile anderer bekannter Ansätze

Gendern 1.0 ist voller Bugs. Folgende Techniken sind in vielfacher Hinsicht falsch aufgezäumt und schaden teils dem Ansinnen sogar mehr als sie nützen. Sie sind als veraltet einzuordnen und sollten nicht mehr praktiziert werden.

Doppelnennung

Schwächt genderneutrale Wahrnehmung der unmovierten Grundform. Grenzt Nonbinarität aus. Ist grundlegend sexistisch segregativ, zudem umständlich und daher in der Praxis immer irgendwann inkonsequent; Frauen werden so nur gelegentlich explizit benannt, aber nicht durchgängig, und wirken dadurch nebensächlich.

Genderstern, Binnen-I etc.

Grammatische Komplexität durch doppeltes Genus, umständlich, schafft Barrieren, sehr unpopulär, androzentrisch, inkompatibel, inadäquate Integration Nonbinärer (per Sonderzeichen und Sprechpause eher aussonderndes, tabuisierendes Signal).

Partizip

Da eigentlich eine Verbform und nicht von Substantiv abgeleitet, kommt es nur für manche Personenbezeichnungen überhaupt als Abwandlung in Betracht. Im Singular ist es ohnehin nicht mehr geschlechtsneutral. Verfälschter Ausdruck durch Zweckentfremdung („viele Wählende enthielten sich“, „streikende Mitarbeitende“ usw.).

Neutralisationsmorpheme: Hornscheidts -ens, Phettbergs -y etc.

Sehr fremdartig, inkompatibel mit herkömmlicher Sprache, hoher Umgewöhnunsaufwand, Phettberg im Grunde Diminutiv. Und vor allem systematisch verkehrt herum: Es bedarf keiner Neukonstruktion einer genderneutralen Form, denn die ist bereits vorhanden, tief verwurzelt und lange etabliert. Was eigentlich in der Sprachpraxis fehlt, ist eine symmetrische Ergänzung der Movierung.


  1. Der Irrtum rührt von der antiken Einordnung der Genera als „männlich“, „weiblich“ und „unbeseelt“ her, wie sie Protagoras im 5. Jahrhundert vor Christus prägte. Zudem spielen sie in anderem Kontext, wo sie etwa bei Pronomen grammatisch nicht auf ein Substantiv, sondern unmittelbar auf das Bezeichnete deuten, auch eine Rolle, die sich auf Gegebenheit oder eben auf Sexus beziehen kann: Es ist sonnig heute. Er betritt den Raum. Sie trinkt Tee. ↩︎

  2. -er ist bei Besucher oder auch Vertreter, Lehrer, Angeber usw. kein männliches Movem (andernfalls wäre das weibliche Pendant *Besuchin), sondern das Derivationsmorphem des Nomen Agentis. Dies ist die Wortbildungsmethode, mit der meist aus Verben (besuchen, vertreten, lehren, angeben) Substantive abgeleitet werden können. Das Genus des resultierenden Substantivs ist dabei stets Maskulinum, egal ob es sich um die Bezeichnung für ein Lebewesen oder einen unbelebten Gegenstand wie Rasenmäher oder Bohrer handelt. Ableitungen etwa mit den Suffixen -keit, -ung oder -schaft hingegen haben das Genus Femininum, solche mit -tum, -chen oder -lein Neutrum. Es besteht dabei kein Bezug zu Sexus: die Männlichkeit, die Burschenschaft, das Herrchen, das Mädchen↩︎

  3. Diese sexusindifferente Verwendung von Substantiven des Genus Maskulinum ist schon in frühestem deutschem Schrifttum historisch belegbar (siehe Trutkowski / Weiß: „Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen“ ). ↩︎

  4. Die hier demonstrierten Moveme entsprechen dem -in/-an/-on-Schema nach Melsa. Es gibt hierzu auch alternative Vorschläge wie z. B. -in/-un/-an (Lüthe), -in/-on/-ix (Gnadl) oder -in/-rich (Thiery; klassisch). Die Benennung als Gendern 2.0 stammt von Luise Pusch und bezieht sich auf das gemeinsame Konzept der gleichgestellten Movierung generell, unabhängig von der Wahl der Moveme. ↩︎